Daniel ist 26 und vor ein paar Jahren mit dem Studium fertig geworden. Er lebt in Frankfurt am Main, genauer gesagt im Stadtteil Nordend, dort wo viele Menschen leben, die gerne mit dem Fahrrad ins Büro fahren. In der Nachbarschaft gibt es diverse Bio-Supermärkte, in denen man nachhaltige Produkte kaufen kann, zwar etwas teurer, aber eben nachhaltig. Daniel ist mittlerweile stolzer „Teilzeit-Vegetarier“, wie er sich nennt. Auch, weil er seinen persönlichen CO2-Footprint reduzieren möchte. „Man muss lernen zu verzichten und den Gürtel enger zu schnallen, es kann in unserer Generation nicht so weitergehen wie bisher“, betont er. „Wenn nur jeder hier seinen Beitrag leistet und mit gutem Beispiel vorangeht, können wir viel bewegen“.
Als alles anfing – vor dreißig, vierzig Jahren – war die Gemeinde der ökologisch Interessierten und klimapolitisch Engagierten in den westlichen Industrienationen noch sehr klein.
Mittlerweile ist Daniel einer von vielen. Einer von hunderttausenden jungen Menschen in Deutschland, die verstanden haben, wie wichtig Umweltschutz ist.
Alle 83 Millionen Deutschen zusammen sind für etwa 2,4 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich und machen 1 Prozent der Weltbevölkerung aus. Jedoch wissen auch die jungen Menschen im Nordend, dass sie den Klimawandel alleine nicht stoppen können, selbst wenn Deutschland ab morgen jegliche Emissionen einstellen würde. Aber man möchte Maßstäbe setzen und zeigen, dass es auch anders geht.
Auf dem internationalen Schachbrett ist die Demonstration des Konsumverzichts ein Irrweg
Das Argument, Klimaschutz darf auch gerne teuer sein, zieht bei den Schwellenländern nicht. Zudem wollen die Menschen in Indien und China Autofahren genau wie wir, Fleisch essen und die Klimaanlage einschalten. Die Übung des Verzichts durch Konsum- und Wohlstandsreduktion, die die junge Generation in Industrienationen propagiert, wird Schwellenländer folgern lassen: „Da machen wir nicht mit. Wir wollen Wachstum und Wohlstand, diese Entwicklung steht uns ebenso zu wie den entwickelten Staaten, die dort bereits angekommen sind.“
Laut aktuellen Berechnungen des auf den Energiemarkt spezialisierten Research Unternehmens BNEF wird die globale Stromnachfrage bis 2050 auf etwa 41 Millionen Gigawattstunden ansteigen, eine Steigerung gegenüber heute von 54 Prozent. Dieser Trend ist in der Wissenschaft unumstritten.
Unsere Aufgabe als relativ kleines, wohlhabendes Industrieland mit technologie- und wissenschaftsorientiertem Personal sollte es sein, möglichst kostengünstig und ohne CO2-Emissionen Energie zu produzieren und diese zur Steigerung des Lebensstandards zu nutzen. Das Vorbild schwäbischer Sparsamkeit wird wohl bei keinem Schwellenland Attraktivität erlangen.
Die deutsche Automobilindustrie, der Wohlstandsbringer der letzten 70 Jahre
Die deutsche Automobilindustrie, die Wohlstandsbringerin der letzten 70 Jahre schlechthin, die zum Höhepunkt ihrer Reifezeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 einen zusätzlichen Globalisierungsschub erhielt, steht mittlerweile auf äußerst wackeligen Beinen.
Gleichzeitig wurde politisch und technologisch der Weg zur batteriebetriebenen E-Mobilität geebnet. Anschaffungskosten und Reichweite sind auf einem für den Konsumenten verträglichen Level angekommen.
Im Jahr 2021 waren global 17,4 Millionen E-Autos unterwegs, etwa sechs Millionen mehr als noch in 2020 – Tendenz stark steigend. Der Erfolg gibt Elon Musk recht, sich bereits früh und kompromisslos auf die Elektrotechnologie festgelegt zu haben. Sein Unternehmen positioniert sich mit 936.000 verkauften Autos im Jahr 2021 als globaler Marktführer. Trotz der Unternehmensgröße, die Tesla mittlerweile erreicht hat, scheint sich das Wachstum nicht abzuschwächen. Die Produktionskapazität wird zum Jahresende auf etwa 2.000.000 Fahrzeuge angewachsen sein. Entgegen der Skepsis der letzten Jahre arbeitet das Unternehmen mittlerweile profitabel und konnte im zweiten Quartal 2022 einen Nettogewinn von 2,26 Mrd. US-Dollar ausweisen. Der chinesische Wettbewerber BYD, dessen Ursprung in der Batteriezellenproduktion zu finden ist, wuchs in den letzten Jahren auf ähnliche Größe heran, produziert mittlerweile 1.000.000 vollelektrische Autos pro Jahr und liegt damit global auf Rang zwei. Das Unternehmen mit Sitz in Shenzhen, China, das seine Autoproduktion erst kürzlich auf 100 Prozent E-Autos umgestellt hat und im März den letzten Verbrenner vom Band laufen ließ, ist ebenfalls profitabel unterwegs.
Beide Unternehmen haben große Pläne. Musk gibt an, noch über mehrere Jahre mit durchschnittlich 50 Prozent weiter zu wachsen. Bis zum Ende des Jahrzehnts steht ein Produktionsziel von 20 Millionen Fahrzeugen pro Jahr auf der Agenda. Für manche mögen solche Zahlen nach Größenwahn klingen. Noch nie hat es in der Geschichte einen Autohersteller solchen Ausmaßes gegeben. Die Ziele, die sich das in Texas ansässige Unternehmen in der Vergangenheit gesteckt hat, wurden häufig jedoch mit erschreckender Präzision getroffen.
Die Profitabilität kommt nicht von ungefähr. Während Tesla die Preise 2022 über die Produktpalette hinweg um bis zu 6.000 US-Dollar anheben konnte, sinken die Produktionskosten dank steigender Skaleneffekte stetig. Bei Einführung des Model 3 kalkulierte man Herstellungskosten von 56.000 US-Dollar. Mit der Einführung der neuesten Batteriegeneration namens „4680“, die in der Brandenburger Fabrik zum Einsatz kommt, werden die Produktionskosten unter die Marke von 30.000 US-Dollar sinken.
Bei der Konkurrenz ist man von solchen Erfolgsmeldungen noch weit entfernt. Die Fahrzeugfertigung der sogenannten Traditionshersteller ist nicht vertikal integriert. Anders ausgedrückt, man ist bei jedem Arbeitsschritt auf dutzende von Zulieferern angewiesen. Dies kostet Flexibilität, Geschwindigkeit und Innovationskraft. Während VW mit seinen Gewerkschaften kämpft und weiterhin auf der Suche nach talentierten Softwareentwicklern ist – immerhin konnte der Gesamtkonzern letztes Jahr 263.000 E-Autos verkaufen –, ist BMW mit 104.000 Einheiten noch auf der Suche nach Traktion. Das Ziel der Bayern ist 50 Prozent Elektroanteil bis 2030. Ein absolutes Stückzahlen-Ziel hält man bisher noch zurück.
Was könnten die Traditionshersteller ändern, um im Wettbewerb der Zukunft nicht chancenlos anzutreten?
Wir wissen bereits heute, dass wir in den nächsten Jahren einen extremen Bedarf an Kobalt, Lithium und Kupfer haben werden. Die europäischen Autohersteller haben die Bedeutung der Rohstoffversorgung lange Zeit unterschätzt. Laut einer Analyse der EU-Kommission müssen wir mehr als 65 Prozent der für die E-Motor-Produktion benötigten Rohstoffe aus China importieren.
Die Erfolge von Vorzeigekonkurrenten wie BYD hingegen sind kein Zufall. Kein anderes Land dominiert den Abbau von Batterie-relevanten Rohstoffen so sehr wie China.
Bei neun von zehn Beteiligungen an Rohstoffvorkommen der letzten Jahre waren chinesische Unternehmen involviert. China verarbeitet 60 Prozent des weltweit geförderten Cobalts. Der Großteil davon stammt aus der Demokratischen Republik Kongo. An nahezu jedem Projekt ist China hier sowohl finanziell als auch operativ beteiligt oder leistet Infrastrukturhilfe. Man ist sich der Notwendigkeit des Rohstoffs im anbrechenden Batteriezeitalter bewusst.
BYD, der zweitgrößte Produzent von Lithium-Ionen-Batterien für E-Autos, nutzt 90 Prozent seiner Zellen für die eigene Autoproduktion. Selbst für zahlungswillige Wettbewerber bleibt da wenig übrig. Im Juni dieses Jahres hat das Unternehmen über den afrikanischen Kontinent verteilt weitere sechs Lithium-Minen gekauft, um seine Batterieproduktion bis zum Jahr 2029 sicherzustellen.
Elon Musk sorgt ebenfalls vor, um seine Pläne zu verwirklichen. Im November 2021 schloss Tesla einen mehrjährigen Liefervertrag mit Ganfeng Lithium. 20 Prozent der Jahresproduktion wird demnach an Tesla abgeführt.
Das Metall Nickel wird aufgrund sich verändernder Zellchemie immer wichtiger für die Batterieproduktion. Große Vorkommen gibt es zum Beispiel in Indonesien. Im August dieses Jahres wurde bekannt, dass Tesla sich im Rahmen eines gigantischen fünfjährigen Liefervertrages mit mehreren indonesischen Unternehmen etwa ein Drittel der globalen Nickelproduktion gesichert hat. Das entspricht einer Menge von 5 Millionen Autos.
Stand 2021 befinden sich die zehn größten Batterieproduzenten in Asien, verteilt auf China, Südkorea und Japan. Das sind etwa 94 Prozent der globalen Kapazität, Tendenz steigend.
Die deutsche Autoindustrie hat lange die Strategie des Zukaufs von Ressourcen verfolgt. Viel einfacher und effizienter sei dies, hieß es aus Fachkreisen.
Bei den Rohstoffen für erneuerbare Energien ist die Abhängigkeit ähnlich groß. Die EU-Kommission berichtet, dass 54 Prozent der Materialien für Windturbinen sowie 53 Prozent der Ressourcen für Photovoltaik-Anlagen aus China importiert werden.
Es ist genau dieselbe Abhängigkeit, in der wir uns aktuell bei der russischen Gasversorgung wiederfinden, in die wir uns bei Rohstoffen für E-Mobilität und der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien hineinmanövrieren. Der Investigativ-Journalist Christoph Keese des Medienhauses ThePioneer trifft mit einem Beitrag zum Thema Rohstoffabhängigkeit den Nagel auf den Kopf.
„Wir möchten unsichtbaren Wohlstand. Reichtum, dem man seine Erzeugungsweise nicht ansieht: Industrie, bei der der Rauch aufgeht, das wollen wir in Europa nicht.“
Bisher sind Menschenrechtsverletzungen und mangelnder Umweltschutz Markenzeichen des Rohstoffabbaus. Doch das muss nicht zwangsläufig so bleiben. 2017 wurde in Europa die „Global Battery Alliance“ gegründet, eine Vereinigung, die sich für saubere und faire Produktionsbedingungen einsetzt. Die Chancen, die afrikanischen Lieferketten bei einem durch Europa geführten Rohstoffabbau zu verbessern, wären unweigerlich größer, als wenn man das Spielfeld dem chinesischen Staat überließe. Doch Europa fühlt sich pudelwohl beim Tragen seiner weißen Weste. Der Preis ist hoch.
Das Taiwan Risiko
Mit 245 Milliarden Euro Handelsvolumen war China im Jahr 2021 erneut Deutschlands größter Handelspartner. China ist hier seit 2015 auf Platz eins. Käme es in der Meerenge zwischen China und Taiwan zu einer kriegerischen Auseinandersetzung mit der Folge einer Sanktionierung Chinas ähnlichen Ausmaßes wie im derzeitigen Russland-Konflikt, wäre dies für Deutschland ein wirtschaftlicher Totalschaden. Als Größenvergleich: Russland belegte letztes Jahr nur den 14. Platz in der Rangliste der größten Handelspartner Deutschlands. Etwa 60 Prozent der Importe aus Russland bestehen aus Öl und Gas – Güter, die von ihrer Beschaffenheit her kaum einheitlicher, kaum ersetzbarer sein könnten.
Ein großer Teil unseres Wohlstands basiert auf der Ausweitung der Handelsbeziehung zu China, die sich seit den 1990er Jahren vollzieht. Vier von zehn Autos, die Volkswagen verkauft, gehen nach China. Mehr als 90 Prozent der Produkte, die wir auf amazon.com bestellen können, werden dort produziert. Der Konsument profitiert auf breiter Basis von der globalen Arbeitsteilung. 98 Prozent der seltenen Erden, die wir in Europa für Solarzellen, Windturbinen oder Batterien benötigen, kommen aus der Volksrepublik. Bei einer derartigen Sanktionierung Chinas durch den Westen, würden hier alle Lichter ausgehen. Es ist nicht „nur“ Öl oder Gas, das woanders beschafft werden muss. Beiden Seiten würde ein solches Szenario deutliche Schmerzen bereiten. Genau diese Tatsache macht eine Eskalation unwahrscheinlicher, schließt sie aber nicht aus. Allerdings läuft die Zeit nicht gegen, sondern für die Volksrepublik China. Mit jedem weiteren Jahr sinkt die Abhängigkeit vom Westen, der tertiäre Sektor des Landes wird stärker, die langfristige Rohstoffversorgung scheint zu großen Teilen gesichert. Die relative ökonomische Macht des Landes nimmt weiter zu. Wir sprechen mittlerweile von einem Hochtechnologieland, von dem die ganze Welt abhängig ist. China hat sich bis zum Jahr 2050 große Ziele gesetzt, doch bis dahin vergeht noch etwas Zeit.
Auch wenn Daniel aus Frankfurt und seine Generation das richtige tun, der Fokus auf die eigenen Landesgrenzen reicht bei der Bekämpfung des Klimawandels nicht aus. Zwar setzt Europas Politik mit der Zielsetzung einer nachhaltigeren Wirtschaft im interkontinentalen Vergleich Maßstäbe. Um diese Ansätze jedoch auf andere Kontinente zu übertragen, sollten wir fördern, unterstützen und Teil der Wertschöpfungsketten werden, die für die technologischen Errungenschaften der Zukunft notwendig sind. Nicht reich muss man sein, sondern unabhängig.
Autor: Jan-Christoph Herbst, Portfoliomanager des MainFirst Global Equities Fund, MainFirst Global Equities Unconstrained Fund, MainFirst Megatrends Asia und MainFirst Absolute Return Multi Asset