Nach einem schwächelnden Jahresbeginn konnten die europäischen Aktienmärkte ein positives erstes Halbjahr vorweisen. Der breite europäische Aktienmarkt legte um gut 9 % zu und erreichte sogar neue Allzeit-Höchststände.¹ Die Haupttreiber dieses Anstiegs waren Large-Cap-Aktien, die fast 10 % zulegten.² Small³ und Mid Caps⁴ schnitten dagegen weniger gut ab, verzeichneten aber immer noch ein respektables Plus von gut 5 %. Sie liefen somit dem breiten Aktienmarkt hinterher, was auf eine relative Risikoaversion der Investoren hindeutet. Diese setzen in unsicheren Zeiten eher auf die vermeintliche Stabilität und Sicherheit von Blue Chips Aktien.
Die Märkte wurden hauptsächlich von makroökonomischen Daten getrieben. Die Notenbanken haben sich vor allem in den ersten Monaten mit Zinssenkungen eher vorsichtig positioniert.
In Amerika zeigte sich die Wirtschaft trotz hoher Leitzinsen weiterhin stark. In Europa wiederum stellte sich die Inflation trotz schwächelnder Konjunktur hartnäckiger als gedacht dar. Dennoch überwiegte die Hoffnung, dass die Notenbanken in absehbarer Zeit die Zinswende einläuten würden, was den Märkten einen positiven Schub gab.
Einen deutlichen Rücksetzer mussten die Anleger jedoch im Juni hinnehmen. Die Europawahlen Anfang Juni brachten zwar keine großen Veränderungen in der Gesamtzusammensetzung des Europäischen Parlaments, da die EVP weiterhin die stärkste Fraktion im EU-Parlament stellt, sie lösten jedoch einige politische Erdbeben auf nationaler Ebene aus, insbesondere in Frankreich.
Die plötzliche Entscheidung Macrons, das französische Parlament noch am Wahlabend aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen, erschütterte französische Aktien und Anleihen und führte zu einem Ausverkauf an den europäischen Märkten. So verlor der CAC 40 allein im Juni 6,2 %, während der Wahlkampf im Vereinigten Königreich kaum Auswirkungen auf die Märkte hatte. Wir glauben nicht, dass die Wahlen für die französische oder die europäische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung sein werden. Die Folgen der politischen Verwerfungen auf die Finanzmärkte und die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes wird in der Regel überschätzt. Hinzu kommt, dass es gerade in Frankreich immer wieder zu öffentlichen Protesten und Demonstrationen kommt.
So könnte es in Frankreich durchaus wieder zu Störungen und Unruhen kommen, zumal seit Ende Juli die Augen der Welt auf Paris gerichtet sind, wo die Olympischen Sommerspiele stattfinden. Im schlimmsten Fall könnte dies die Wirtschaftstätigkeit für ein paar Wochen leicht beeinträchtigen, aber nicht nachhaltig sein.
Diese turbulenten Ereignisse haben zwar kurzfristig den Appetit der Anleger auf europäische Aktien gezügelt, aber es zeigen sich durchaus auch einige positive Aspekte.
Die Inflationsraten in der Eurozone haben sich in diesem Jahr deutlich unter 3 % eingependelt,
sind aber immer noch weit vom Inflationsziel der EZB von 2 % entfernt. Dennoch hat Christine Lagarde bzw. die EZB im Juni die geldpolitischen Traditionen der vergangenen fünf Jahre etwas auf den Kopf gestellt und die Leitzinsen um 25 Basispunkte gesenkt. Dies war zwar ein erwarteter, aber doch etwas ungewöhnlicher Schritt, da sich die EZB traditionell eher an der Fed orientiert und nun doch vor der Fed die Zinsen senkt. Dieser Maßnahme, der ersten Zinssenkung der EZB seit fünf Jahren, dürften jedoch zunächst nicht monatlich weitere Zinssenkungen folgen, da in Europa der Sieg der EZB im Kampf gegen die Inflation noch nicht erklärt werden kann. Normalerweise würde man erwarten, dass Industrieproduktion und Verbraucherstimmung erst nach mehreren Zinssenkungen ihren Tiefpunkt erreichen. Wir glauben, dass der starke Rückgang der Energiepreise die Inflation gesenkt und dazu beigetragen hat, den Druck auf Industrie und Verbraucher zu verringern. Die Kombination aus einer Wende im Zinszyklus und Anzeichen dafür, dass die Konjunktur in der Region nun wieder anziehen könnte, gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus für die europäische Wirtschaft und die europäischen Aktienmärkte. So hat sich beispielsweise der ifo-Geschäftsklimaindex bei knapp unter 90 stabilisiert.
Der Blick nach vorne
Die derzeit allerdings eher verhaltene Konjunktur in Europa und die sinkenden Energiepreise dürften letztlich weitere Zinssenkungen der EZB in der zweiten Jahreshälfte 2024 und darüber hinaus begünstigen, was zu einem noch deutlicheren Unterschied im Zinsumfeld gegenüber den USA führen könnte, sollte die Fed nicht nachziehen. Dies könnte für europäische Aktien sehr vorteilhaft sein. Niedrigere Zinsen bedeuten nicht nur, dass Unternehmen Einsparungen aus niedrigeren Zinskosten in Aktienrückkäufe, Dividenden und M&A umlenken können, sondern auch, dass ein schwacher Euro die Exporte ankurbelt.
Ein Blick auf die europäischen Aktienmärkte lohnt sich definitiv, denn die Bewertungen der europäischen Aktienmärkte bleiben im Vergleich zu den globalen Märkten und vor allem im Vergleich zum US-Markt sehr attraktiv. So notierte der S&P 500 Ende Juni mit einem KGV von 19,7, während sein europäisches Pendant, der MSCI EUROPE NET TOTAL RETURN INDEX, mit einem KGV von 13,2 um mehr als 30 % günstiger bewertet war.⁵
Allerdings bleibt auch im zweiten Halbjahr eine politische Unsicherheit mit Blick über den großen Teich. Im November wird ein neuer Präsident gewählt, was zu Volatilität führen kann. Historisch gesehen neigen die Märkte jedoch dazu, sich von politischen Schocks zu erholen, sobald die Unsicherheit nachlässt und die wirtschaftlichen Fundamentaldaten wieder in den Vordergrund rücken.
Trotz der politisch unsicheren Lage und den wirtschaftlichen Herausforderungen zeigten die europäischen Aktienmärkte im ersten Halbjahr eine bemerkenswerte Resilienz und Wachstumspotential. Die positive Entwicklung der Inflationsraten, die zunehmend proaktive Geldpolitik der EZB und die attraktive Bewertung europäischer Aktien sind starke Indikatoren für eine anhaltend positive Marktentwicklung auch im weiteren Jahresverlauf.
-------
¹ MSCI Europe Net Total Return Index: 9,06 % im Zeitraum vom 31.12.2023 bis zum 28.06.2024
² MSCI Europe Large Cap Net Total Return Index: 9,81 % im Zeitraum vom 31.12.2023 bis zum 28.06.2024
³ MSCI Europe Small Cap Net Total Return Index: 5,0 % im Zeitraum vom 31.12.2023 bis zum 28.06.2024
⁴ MSCI Europe MID Cap Net Total Return Index: 5,35 % im Zeitraum vom 31.12.2023 bis zum 28.06.2024
⁵ Quelle: Bloomberg, 28.06.2024, das KGV bezieht sich auf die geschätzten zukünftigen Gewinne für das nächste Jahr