Seit Beginn der Covid-Krise hat sich in China viel getan. Nachdem die chinesischen Aktienmärkte seit 2020 aufgrund der wirksamen Eindämmung der Pandemie um mehr als 40 % gestiegen waren, erreichten sie im Februar 2021 ihren Höchststand. Doch dann gerieten die Anleger ins Kreuzfeuer des regulatorischen Eingreifens in Sektoren wie Technologie, Privatschulen und Immobilien, und derzeit haben die Aktienmärkte fast alle vorherigen Gewinne wieder verloren. Welche fiskalischen und monetären Instrumente zur Ankurbelung der Wirtschaft ergreift nun die Regierung?
„Gemeinsamer Wohlstand“, ein vom ehemaligen Präsidenten und Gründer der Volksrepublik China Mao Zedong erstmals formuliertes und vom aktuellen Präsidenten Xi Jinping im Jahr 2021 übernommenes politisches Leitmotiv, ist die Rechtfertigung für tiefgreifende, regulatorische Maßnahmen. Im Rahmen des „gemeinsamen Wohlstands“ zielt der Staat darauf ab, die Ungleichheit in der Gesellschaft zu verringern, und er tut dies mit einem verstärkten Eingreifen in den privaten Sektor. Während das harte Durchgreifen im Technologiesektor mit der endgültigen Entscheidung im Fall Didi (1,2 Milliarden US-Dollar Strafe) vor kurzem offenbar abgemildert wurde, hat das staatlich veranlasste Deleveraging des Immobiliensektors tiefgreifende negative Auswirkungen auf die Wirtschaft und bereitet den politischen Entscheidungsträgern weiterhin Kopfzerbrechen. Als ob dies nicht schon genug wäre, kämpft das Land auch noch mit der Eindämmung der Pandemie, nachdem eine enorme Fallzahlenentwicklung in Verbindung mit der Omikron-Variante im März zur Abriegelung strategisch wichtiger Städte wie etwa Shanghai geführt hatte. Wir werfen einen Blick auf die wichtigsten Fragen, die für die kommenden Quartale von Bedeutung sind.
Wie haben die politischen Entscheidungsträger auf die pandemiebedingte Wachstumsverlangsamung reagiert?
Die chinesischen Behörden haben im großen Stil reagiert, und sie werden voraussichtlich noch mehr tun. Als das Land zwischen März und Mai in den Lockdown ging, reagierten sowohl die geld- als auch die fiskalpolitischen Instanzen auf die dringende Notwendigkeit, die Wirtschaft anzukurbeln. Was die Geldpolitik betrifft, so ist die PBOC die einzige große Zentralbank, die derzeit noch eine lockere Geldpolitik betreibt, was durch den im Vergleich zu anderen Ländern geringeren Inflationsdruck unterstützt wird. Im April senkte die Zentralbank den Mindestreservesatz (RRR) für Geschäftsbanken, die in Verwaltungsgebieten tätig sind, und für ländliche Banken mit einem RRR von über 5 % um 25 Basispunkte, wodurch 530 Milliarden CNY (78,5 Milliarden US-Dollar) an Liquidität freigesetzt wurden. Um die Gesamtwirtschaft und den Erwerb von Wohneigentum zu unterstützen, wurde im Mai auch der Leitzins für 5-jährige Darlehen, ein Referenzzinssatz für Hypothekenkredite, um 15 Basispunkte auf 4,45 % gesenkt. Ende April versprach Präsident Xi eine starke Erhöhung der Infrastrukturausgaben, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Diese Maßnahmen zielen vor allem auf die Bereiche Verkehr, Energie und Wasserwirtschaft ab, aber ein Teil der Gelder wird auch in nicht-traditionelle Ausgaben wie Datenzentren fließen. Im Juni hatten die Lokalregierungen bereits ihr Jahreskontingent für die Ausgabe von Sonderstaatsanleihen in Höhe von 3,65 Billionen CNY (540 Milliarden US-Dollar) ausgeschöpft. Ein solcher Stimulus ist ungewöhnlich und übertrifft die Emissionen des Jahres 2020. Da zudem zu erwarten ist, dass 1,5 Billionen CNY aus der Emissionsquote für 2023 vorzeitig ausgegeben werden, ist mit weiteren Emissionen zu rechnen. Auch wurden zusätzliche Maßnahmen ergriffen – von Steuersenkungen bis hin zur kürzlich erfolgten Einrichtung eines 500 Milliarden CNY schweren Infrastruktur-Investitionsfonds, der im dritten Quartal einsatzbereit sein soll. Fasst man all diese Maßnahmen zusammen, dürfte der fiskalische Impuls für die Wirtschaft mehr als 7 Billionen CNY betragen, dreimal so viel wie 2021.
Was haben die staatlichen Stellen für den Immobiliensektor getan und ist das ausreichend?
In der ersten Jahreshälfte wurden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Krise im Immobiliensektor zu bewältigen. Diese Maßnahmen trugen zwar dazu bei, einen Teil des Drucks abzubauen, und gehen in die richtige Richtung. Doch die chinesischen Bauträger leiden immer noch unter einer beispiellosen Liquiditätskrise, die bereits zum Ausfall großer Marktteilnehmer wie Evergrande geführt hat. Ein altes chinesisches Sprichwort besagt: „Denke dreimal nach, bevor du handelst“. Dies scheint die Strategie zu sein, die die Behörden bisher verfolgt haben, denn sie haben schrittweise reagiert und eine große Reaktion im Stil einer Bazooka gemieden. Durch unentschlossenes Handeln wurde viel Schaden angerichtet. Um Investoren und Hauskäufer zu überzeugen und weitere negative Auswirkungen zu verhindern, ist eine radikale Reaktion erforderlich. In jüngster Zeit haben einige Käufer ihre Hypothekenzahlungen für rund 300 Projekte, die nicht rechtzeitig abgeschlossen wurden, eingestellt. Um zu verhindern, dass sich dieser Vertrauensverlust weiter ausbreitet, haben die Behörden sowohl auf lokaler als auch auf zentraler Ebene gehandelt. Auf lokaler Regierungsebene hat die Provinz Henan, die Provinz mit dem höchsten Anteil an unvollendeten Projekten, ihre Vermögensverwaltungsgesellschaft (AMC) angewiesen, in Schwierigkeiten geratene Bauträger zu unterstützen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf unvollendeten Projekten. Aus der Zentralregierung ist zu hören, dass die PBOC zusammen mit den chinesischen Staatsbanken einen staatlichen Immobilienfonds mit einem Volumen von 300 Milliarden CNY einrichten will. 300 Milliarden CNY reichen zwar nicht aus, um die Krise zu bewältigen, sind aber dennoch ein nützliches Instrument, das im Erfolgsfall nachgeahmt/erweitert werden könnte. Wir würden uns wünschen, dass in Zukunft mehr solcher Aktionen von AMCs oder Stabilitätsfonds sowie von staatlichen Unternehmen durchgeführt werden, um Projekte von in Schwierigkeiten geratenen Entwicklern zu übernehmen. Schließlich ist auch eine gesunde Belebung der Immobilienverkäufe notwendig, um die mittelfristige Stabilität des Marktes zu gewährleisten. Obwohl dies von der Entwicklung der Pandemie abhängt, sind wir zuversichtlich, dass die Behörden weiterhin entschlossen sind, einen Sektor zu unterstützen, der etwa 25-30 % der Wirtschaft ausmacht. Es bedarf jedoch einer energischeren und entschlosseneren politischen Reaktion, um die Immobilienkrise einzudämmen, das Vertrauen der Investoren wiederherzustellen und endlich zum nächsten Kapitel überzugehen.
Kann sich die Wirtschaft im zweiten Halbjahr 2022 erholen?
Die Wirtschaft erholte sich bereits im Juni, als die Lockdowns aufgehoben wurden. Der Produktions-PMI stieg von 49,6 auf 50,2, während sich sowohl das Wachstum der Investitionen als auch das der Einzelhandelsumsätze beschleunigte. Wir gehen davon aus, dass sich die Wirtschaft angesichts der starken Infrastrukturanreize vom niedrigen Niveau des zweiten Quartals erholen kann. Natürlich würde die erneute Verhängung harter Lockdowns, die wie im zweiten Quartal große Teile der Binnenwirtschaft betreffen würden, sowohl die Verbraucherausgaben als auch die Industrieaktivität belasten und die erwartete wirtschaftliche Erholung abschwächen. Wir gehen nicht davon aus, dass China in absehbarer Zeit von seiner Null-Toleranz-Politik gegenüber Covid abrücken wird, zumindest nicht vor dem Ende des 20. Nationalen Volkskongresses der Kommunistischen Partei im vierten Quartal. Da Präsident Xi eine dritte Amtszeit anstrebt, kann er sich eine Zunahme der Todesfälle durch Covid-Infektionen nicht leisten. Bis zum Kongress sollte sich die Zahl der geimpften Personen deutlich erhöhen, da die Impfungen der gefährdeten Personen fortgesetzt werden. Dies dürfte auch dazu beitragen, dass die Null-Toleranz-Strategie möglicherweise aufgegeben wird. Von April bis Juli ist der Anteil der über 60-Jährigen, die eine Auffrischungsimpfung erhalten haben, von 52 % auf 64 % gestiegen. Während wir auf weitere Fakten zu diesem Thema warten, bleiben wir zuversichtlich, dass die chinesischen staatlichen Stellen dann über die fiskalischen und monetären Instrumente zur Ankurbelung der Wirtschaft verfügen und bei Bedarf mehr tun werden.
Autor: Andranik Safaryan, Portfoliomanager des MainFirst Emerging Markets Corporate Bond Fund Balanced & MainFirst Emerging Markets Credit Opportunities Fund